Der Vohwinkel Fuchs
Schloß Lüntenbeck Schwebebahn in Vohwinkel 1923 Rathaus Vohwinkel 1912 Kaiserplatz in Vohwinkel 1929 Neuer Bahnhof Vohwinkel 1909 Schöller 1928

Das Flüchtlingsproblem in Vohwinkel

Wie schon an anderer Stelle dieser Arbeit erwähnt wurde, war durch den Zuzug der vielen Flüchtlingsfamilien die Gemeinde in den letzten Jahren stark angewachsen.

Die Ostvertriebenen siedelten sich im Laufe der Zeit auf dem Bremkamp an, und aus den in schönen Gärten gelegenen Siedlungshäusern, aus den für die Flüchtlinge erbauten sauberen Blocks zwischen Haaner Straße und Neulandweg sowie den für sie bestimmten Norwegerhäusern entstand die Siedlung Bremkamp, die zum neu errichteten Westbezirk gehörte.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Eingliederung der Vertriebenen mit großen Schwierigkeiten verbunden war. So konnten die früheren Gutsbesitzer und Bauern kaum einen landwirtschaftlichen Betrieb selbstständig führen, "denn der Grundbesitz in Westdeutschland wurde weder durch staatliche Maßnahmen umverteilt, noch war er in der Regel für die Flüchtlinge käuflich erwerbbar".

Die Kaufleute und Unternehmer unter den Vertriebenen wurden zum großen Teil wieder unabhängig, weil sie oft wegen ihres guten Rufes Kredit erhielten, und auch viele Handwerker konnten sich in ihrem alten Beruf durchsetzen, nachdem der Streit um ihre Zulassungsberechtigung zu ihren Gunsten entschieden worden war. Ebenso ließen sich die Beamten und öffentlichen Angestellten und die Angehörigen der freien Berufe relativ reibungslos in die westdeutsche Wirtschaft und Verwaltungsstruktur eingliedern, da sie nicht auf Produktionsmittel angewiesen waren.

"Hart getroffen durch die Vertreibung wurde schließlich auch die Masse der Arbeiter. Mit der Heimat büßte diese Berufsgruppe alle Ersparnisse und ihren ohnedies bescheidenen persönlichen Besitz ein. Da die Flüchtlinge unter den Arbeitern die undankbarsten und am schlechtesten bezahlten Stellen annehmen mußten (sie waren beispielsweise auch unter den Saisonarbeitern überproportional vertreten), fristeten sie nicht selten ein Leben hart am Rande des Existenzminimums.".

 

 

Im Jahre 1953 war die Flüchtlingsnot besonders groß, als auch viele Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone nach Wuppertal kamen und auch in Vohwinkel eine Bleibe suchten. Der Vohwinkeler Stadtsaal wurde beschlagnahmt und als vorläufige Unterkunft in aller Eile hergerichtet. Auch die Kirchengemeinde hatte hier tatkräftig geholfen, und Pastor Elm war mit Schwester Elisabeth Röhner und einigen treuen Gemeindemitgliedern bemüht, das Nötigste für die Flüchtlinge herbeizuschaffen um ihnen ihr schwerers Los möglichst zu erleichtern.

Gerade der Westbezirk hatte in der Flüchtlingsbetreuung eine neue Aufgabe erhalten: "Pastor Elm berichtete (am 7.4.1953 dem Presbyterium) über die Bewirtung der Flüchtlinge ... im Saal des Gemeindehauses durch die Frauenhilfe West. Die Unkosten sind gedeckt ... Gestellt wurde noch die Frage, wie kann weiter geholfen werden."

Der Flüchtlingsstrom hielt auch gegen Ende 1953 immer noch an. Das verdeutlicht auch die Besprechung dieser Problematik in der Presbyteriumssitzung vom 4.11.1953: "Ferner wurde mitgeteilt, daß drei weitere Flüchtlingstransporte, und zwar am 11.11, 18.11. und 26.11. hier eintreffen und in den Fabrikräumen des Wilhelmswerkes untergebracht werden. Die Gemeinde wird sich der Nöte der Flüchtlinge nach Kräften annehmen. Diesbezügliche Abkündigungen zur Sammlung von Geschirr, Bettwäsche, Kleidern und sonstigen Spenden sollen in den Gottesdiensten und Vereinsstunden sofort erfolgen."

 

Auch in der nächsten Presbyteriumssitzung am 1.12.1953 wurde die Flüchtlingsfrage erörtert: "Bekanntgegeben wurde, daß am 2.12.1953 der 1. Flüchtlingstransport eintrifft. Unsere Pfarrer werden die Flüchtlinge mit begrüßen, und die Gemeinde wird sich nach Kräften der Flüchtlingsnöte annehmen. Presbyter Kemper schlug vor, von der Kanzel die Bitte an die Firmen und Geschäftsleute abzukündigen, nach Bedarf Flüchtlinge zu berücksichtigen und einzustellen."

Die Flüchtlinge waren zunächst im Stadtsaal Vohwinkel und im Wilhelmswerk neben der Firma Blumhardt auf der Vohwinkeler Straße provisorisch untergebracht. Auch der neue Pfarrer Werckmeister, der zunächst nach dem Weggang von Pfarrer Elm die verwaiste 3. Pfarrstelle nur verwaltete, bis er dann im Herbst 1954 gewählt wurde, kümmerte sich in gleicher Weise wie sein Amtsvorgänger intensiv um die Belange der Flüchtlinge. Er zeigte besonders Verständnis für die Nöte dieser Menschen, zumal er ja selbst als Ostflüchtling hierher gekommen war, "freilich nicht fremd, sondern in die angestammte Heimat seiner mütterlichen Vorfahren".

Am 8. November 1955 wurde wieder im Presbyterium über die Betreuung der Flüchtlingsläger gesprochen: "Zum Schluß brachte P. Werckmeister die Betreuung bzw. Unterstützung der Rentner und Bedürftigen im Wilhelmswerk zur Sprache. Für die Betreuung wurden 200 DM auf Vorschlag des Kirchmeisters zur Verfügung gestellt. Zu den Weihnachtsveranstaltungen der Gemeinde sollen alle Bewohner der beiden Flüchtlingsläger schriftlich und mündlich eingeladen werden. Eine weihnachtliche Feierstunde im Wilhelmswerk selbst wird noch erwogen.

 

Am 15. Januar 1957 befaßte sich die Gemeindeleitung mit der Eingliederung Vertriebener und kam zu dem Ergebnis: "Das Presbyterium schließt sich der Auffassung des K.S.V. an, daß die Vertriebenen als zur Gemeinde gehörig zu betrachten sind, ohne eine Sonderstellung irgendwelcher Art einzunehmen."

Auch zu Beginn der Amtszeit von P. Helmut Scholl, der am 30. Juni 1957 Nachfolger von Pastor Werckmeister geworden war gab es noch die beiden Flüchtlingsläger: "Fast vergessen wird es sein, daß bei meinem Dienstantritt im Westbezirk noch zwei Flüchtlingsläger bestanden, und zwar ein Lager im Stadtsaal an der Rubensstraße und das zweite größere Lager im Wilhelmswerk an der Vohwinkeler Straße. Viele Familien mußten immer noch in kümmerlich abgetrennten Zimmern leben. Nach oben offen wurde in die Zimmer warme Luft geleitet. Waschräume und Toiletten waren für die vielen Menschen nur ungenügend vorhanden. An den Saalwänden stand für jede Familie ein Gasapparat zur Verfügung. Besuche waren schwierig. Jedes nicht leise gesprochene Wort konnte nebenan gehört werden.

Weihnachten hielten der katholische Pfarrer und ich eine Feier. Frauen und junge Mädchen der Gemeinde brachten kleine Geschenke. Als die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik langsam besser wurde, brauchte die neben dem Wilhelmswerk gelegene Autofirma Blumhardt mehr Raum, und es gelang ihr, alle Bewohner in neu gebauten Wohnungen in Elberfeld unterzubringen."

Bis weit in den Fünfzigerjahren waren die Vertriebenen und Flüchtlinge noch immer eine benachteiligte Gruppe in unserer Gesellschaft.

Copyright für den Text: Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln 1989.

Diesen Text und viele weitere Informationen finden Sie in:


Holger Ueberholz
Eine Gemeinde im Wiederaufbau
Die Probleme der evangelischen
Kirchengemeinde Vohwinkel nach 1945
Böhlau Verlag, Köln Wien: Böhlau 1989
ISBN 3-412-20788-8



Der Veröffentlichung des Textes auf dieser Webseite
hat freundlicherweise Herr Holger Ueberholz zugestimmt.

 

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