Der Vohwinkel Fuchs
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Die schulische Situation in Vohwinkel nach dem Kriege

Nach dem Bericht von Jochen Thies waren die sozialen Verhältnisse der Schulkinder aller Altersklassen und die Zustände an den Schulen in den ersten Jahren nach dem Krieg katastrophal. "Die meisten Kinder hatten zwar ein mehr oder weniger zerstörtes Zuhause, aber sie mußten ihr Bett mit Geschwistern teilen. Die Kleidung war alt und wärmte in den Wintermonaten nicht richtig, die Schuhe waren zerschlissen, weil sie keiner reparieren konnte. Seife war Mangelware, und eine Zahnbürste besaß kaum jemand. Die größte Sorge aber war der Hunger, verbunden mit der Frage, ob es heute etwas zu essen gäbe."

Thies beschrieb auch die Situation in den Klassen: "Jede zur Verfügung stehende Schulbank war um ein Mehrfaches überbesetzt, es fanden sich Klassen, in denen auch die Fensterbretter als Sitzgelegenheit währens des Unterrichts dienen mußten ... In den kalten Wintermonaten fiel oft der Unterricht ganz aus, denn es gab kaum Heizmaterial. Angesichts dieser Lage hatten die Lehrer große Mühe, das erforderliche Unterrichtssoll zu erfüllen.

 

 

Im Oktober 1945 begann auch in Vohwinkel wieder der Unterricht. Nach den Verwaltungsunterlagen des damaligen Jungengymnasiums an der Mackensenstraße bemühten sich die Lehrer schon lange vorher, "unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen die Voraussetzungen für einen halbwegs geordneten Unterrichtsbetrieb zu schaffen".

Als sich die Militärregierung im Juni 1945 nach dem Zustand der Schulen erkundigt hatte, antwortete der damalige Oberstudiendirektor Dr. Wilhelm Bökenkrüger für das Gymnasium Mackensenstraße: "Das Gebäude selbst ist nicht zerstört. Durch das Wehrertüchtigungslager der Hitler-Jugend, die von Oktober 1944 bis April 1945 die Schule für militärische Zwecke benutzte, ferner durch den Bombenangriff auf Vohwinkel vom 1. Januar 1945 und endlich durch die Benutzung des Gebäudes durch die amerikanische Armee ... sind aber schwere Schäden an allen Fenstern und Türen entstanden; diese müssen ausgebessert werden. Das Dach des Schulgebäudes, das bei den Beschießungen gelitten hat, muß nachgesehen werden. Die Reparaturen sind relativ geringfügiger Art. Die Turnhalle, die an dem Schulgebäude angebaut ist, ist z.Zt. noch nicht benutzbar. In ihr sind Möbel von Bombengeschädigten des 1. Januar 1945 untergestellt. Die Decke der Turnhalle ist teilweise bei diesem Bombenangriff eingestürzt ..."

 

 

Ab September 1945 wurde das Gymnasium von dem neuen Direktor Winand Hoffmann geleitet, der von der Aue nach Vohwinkel versetzt worden war. Aus einem Bericht Hoffmanns an den Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz, Abteilung Kultur, Gruppe III vom 10.10.1945 geht hervor, daß der Unterricht an der Oberschule für Jungen am 1.10.1945 für die Klassen 1 - 7 mit 5, ab 10.10.1945 mit 6 vollbeschäftigten und 4 halbbeschäftigten Lehrkräften, die noch an anderen Schulen unterrichten mußten, wieder aufgenommen worden war.

Oberstudiendirektor Dr. Fritz Speitkamp, seit 1954 Nachfolger von Winand Hoffmann, berichtete in der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Jungengymnasiums sehr anschaulich über den Unterricht unmittelbar nach dem Kriege: "Die Leitung der Schule war damals ein aufregendes Abenteuer. Das Gebäude in der Mackensenstraße stand noch, wenn auch ein wenig beschädigt. Schüler gab es auch, sogar in großer Zahl, und - was in guten Zeiten selten ist - alle wollten lernen. Alles andere, was sonst zu einem geordneten Schulbetrieb zählt, war Mangelware. Die Lehrmittel waren beschädigt, die alten Schulbücher durften nicht mehr benutzt werden, und neue konnten noch nicht gedruckt werden; Hefte und Schreibpapier konnte man nicht kaufen.

Vor allem fehlte es an Lehrern. Sie waren noch in Gefangenschaft, in Internierungslagern; manche waren schon zu Hause, durften aber noch nicht unterrichten, weil sie den "Persilschein" (der sie von der Mitschuld an Nationalsozialismus und Krieg rein wusch) noch nicht hatten. Langsam fanden sich die Lehrer in der Schule ein. Jeder wurde freudig begrüßt, jeder hatte ein Schicksal durchgemacht ...

 

 

Inzwischen saßen in den kalten Klassenräumen die Schüler dichtgedrängt, oft in Mantel und Schal. Sie schrieben auf alte Papierfetzen. Glücklich der Schüler, dessen Vater noch alte Akten besaß, die nur einseitig beschrieben waren. Ein Schüler schrieb sogar seine Klassenarbeiten auf die alten Weinrechnungen seines Vaters. Der Lehrer mußte jeden lateinischen Satz, jede Vokabel, jede Aufgabe an die Tafel schreiben. (Kreide war da!)".

Gott sei Dank war die schulische Situation in Vohwinkel nicht ganz so schlimm wie z.B. in Essen, wo Kinder in fensterlosen Klassenräumen 4 Stunden Unterricht hatten und vor Kälte und Erschöpfung nicht mehr arbeiten konnten. Aber auch in Vohwinkel gab es die Schulspeisung, die aus englischen Beständen den Schülern zur Verfügung gestellt wurde und für eine RM pro Woche erhältlich war.

 

 

Auch die beiden Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Vohwinkel wurden gerufen, in den Schulen Religionsunterricht und Gottesdienste abzuhalten.

Schon aus dem Protokoll der Presbyteriumssitzung vom 4. Juli 1945 wird ersichtlich, daß eine Zusammenkunft zwischen Vertretern der Kirche und der Schule stattgefunden hatte mit dem Ergebnis, daß jeden Montag regelmäßig ein Schulgottesdienst stattfinden solle. Gleichzeitig zielte die Gemeindeleitung darauf ab, in Verbindung mit Lehrkräften ein Vorkatechumenat einzurichten, um die Defizite in religiöser Bildung abzubauen. "Es hat sich mehr und mehr erwiesen, den kirchlichen Unterricht weiter auszubauen und das 5. und 6. Schuljahr hineinzuziehen. An Herrn Lehrer Seeger und Frl. Jösting soll das Ersuchen gerichtet werden, darin mitzuhelfen."

Am 30.1.1946 beschäftigte sich das Presbyterium mit der Bitte der Höheren Schulen, daß die Vohwinkeler Pfarrer dort den Religionsunterricht erteilen sollen. "Es kommt zur Zeit nur das Oberlyzeum in Frage." In der Festschrift des Jungengymnasiums Mackensenstraße zu seinem 75jährigen Jubiläum im Oktober 1967 findet man auch Tappenbecks Namen unter den ehemaligen Lehrkräften dieser Schule. Er erteilte dort im Schuljahr 1946 / 47 Religionsunterricht.

 

Copyright für den Text: Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln 1989.

Diesen Text und viele weitere Informationen finden Sie in:


Holger Ueberholz
Eine Gemeinde im Wiederaufbau
Die Probleme der evangelischen
Kirchengemeinde Vohwinkel nach 1945
Böhlau Verlag, Köln Wien: Böhlau 1989
ISBN 3-412-20788-8



Der Veröffentlichung des Textes auf dieser Webseite
hat freundlicherweise Herr Holger Ueberholz zugestimmt.

 

Krieg / Schulsituation