Der Vohwinkel Fuchs
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Entnazifizierung und Wiedereintritt in die Kirche

Nach dem Kriege setzte bald auch die Entnazifizierung ein. Es wurde Anklage erhoben von öffentlichen Klägern vor sogenannten Spruchkammern, die differenzierte Sühnemaßnahmen aussprechen konnten, wie z.B. Internierung oder auch Gefängnis, Einziehung des Vermögens, Verlust des Amtes oder der Pension usw. Die zweite Instanz waren die Berufungskammern. Nach dem "Ländergesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" vom März 1946 war die Entnazifizierung, wenn auch weiter unter alliierter Kontrolle, in deutsche Hände gegeben.

Giordano sah in diesem Versuch der politischen Säuberung eines ganzen Volkes auch viele Fragen und Probleme: "Wer urteilte hier eigentlich über wen? Welches Potential von Unbelasteten, von Nazigegnern stand in diesem Deutschland der unübersehbaren Masse von ehemaligen Hitleranhängern gegenüber? Waren nicht unweigerlich Zustände geschaffen worden, unter denen einmal, im besten Falle, Schuldlose über Schuldigere, dann aber auch weniger Schuldige über Schuldigere und schließlich Schuldige über weniger Schuldige zu befinden hatten?".

 

 

Giordano berichtete über seine Beobachtungen bei solchen Spruchkammersitzungen: "Da stand er, der Parteigenosse von gestern, demütig geschrumpft auf kaum die Hälfte seines gerade verblichenen Herrenmenschentums, in Würstchenpose, die politische Harmlosigkeit und Verführbarkeit aus gutem Glauben in Person ... Er beschwor seine Unschuld. Er war nichts als ein winziges Rädchen jenes Systems ... der Beklagte jedenfalls beteuerte, zu Aufdeckung und eigener Beteiligung an ihm nicht beitragen zu können. Wie alle anderen vor ihm und nach ihm, so wollte auch er Hitler nie zugejubelt haben, und außerdem könne ein jeder am Ort seine Judenfreundschaft bezeugen, auch die jüdischen Freunde selbst, wenn sie noch dagewesen wären."

Er kritisierte, daß bei solchen Verfahren mehr die "Rehabilitierung statt Haftbarmachung politischer Verantwortlichkeit" im Vordergrund gestanden habe. "Offensichtlicher waren dann schon die sogenannten "Persilscheine", die den Spruchkammern gleich tonnenweise zugeschickt wurden, Bestätigungen politisch unbedenklichen Verhaltens während des "Tausendjährigen Reiches", oft genug dem einen "Ehemaligen" vom anderen ausgestellt - Hauptsache, die Quantität imponierte."

Er sprach in diesem Zusammenhang von regelrechten "Entlastungsfabriken" und zählte dazu auch die Kirchen, die nach seiner Meinung ihren oft fehlenden Widerstand gegen den Nationalsozialismus damit kaschieren wollten, indem sie nun energisch gegen die "neue Verfolgung" protestierten.

 

Aus dem Protokoll der Synodalen Pfarrkonferenz vom 7.10.1946 wird ersichtlich, daß sich auch die Kreissynode Elberfeld mit der Entnazifizierungsproblematik zu befassen hatte. "Der Vorsitzende berichtete über die Entnazifizierungskommission. Die Fragebogen der Beamten und Angestellten sind am besten bei der Superintendentur abzugeben. Die Entnazifizierungskommission ist avisiert; so kann der Ausschuß arbeiten."

In den Protokollen der Vohwinkeler Presbyteriumssitzungen ist kaum etwas über die Entnazifizierung und ihre Folgen zu finden. Ein Stadtinspektor z.B. befand sich kurz nach dem Kriege, wie viele andere Personen auch, im Wartestand und übernahm vertretungsweise die Leitung des Gemeindeamtes. "Falls eine Neubesetzung nötig sein sollte, ist das Presbyterium mit der Anregung einverstanden, ihn um den vollen Dienst zu ersuchen."

Ein knappes halbes Jahr später erlangte dieser Stadtinspektor seine Rehabilitation und kehrte wieder in den Dienst der Stadtverwaltung zurück.

Pastor Tappenbeck hatte sich im Januar 1946 bei der Militärbehörde für zwei entlassene Lehrkräfte eingesetzt. Seine Fürsprache schien offensichtlich beim Presbyterium nicht volle Anerkennung zu finden, denn das Protokoll vom 16. Januar 1946 verzeichnet eine lange Auseinandersetzung über diesen Sachverhalt. "Die Eingabe an das Schulamt wird genauestens besprochen und dann P. Tappenbeck zur Fertigstellung zurückgegeben. Es wird nach Unterschrift durch die Presbyter die Akte an die Behörde übergeben."

Dieses Beispiel macht deutlich, daß das Vohwinkeler Presbyterium nicht sofort bereit war, leichtfertig solche Unbedenklichkeitserklärungen auszustellen.

 

Auch in der Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Vohwinkeler Gymnasiums wird kurz auf die Entnazifizierung Bezug genommen. Nach einem Schreiben des Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz, Abteilung Kultur, an die Schulleiter sollten diese ihm bis zum 20.8.1945 einen für die Militärregierung bestimmten Fragebogen einreichen, nach dem die einzelnen Lehrkräfte in Nichtparteigenossen, Parteigenossen, und ausgesprochen aktive Parteigenossen klassifiziert wurden. Außerdem mußten die Schulleiter angeben, zu welchen NS-Gliederungen die Parteimitgleider gehörten bzw. welche Ämter und Tätigkeiten sie dort innehatten.

 

Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hatte sich das Vohwinkeler Presbyterium in den folgenden Jahren mit zahlreichen Anträgen auf Wiedereintritt in die evangelische Gemeinde zu befassen. Während der Zeit des Dritten Reiches war es besonders ab April 1936 zu einer stärkeren Austrittsbewegung aus der Kirche gekommen, und das Presbyterium hatte sich fortan fast in jeder Sitzung mit den Kirchenaustritten beschäftigt. 1938 hatten 85 Glieder und 1939 sogar 105 Personen die evangelische Kirche verlassen.

In der Sitzung vom 28.5.1945 war der Punkt "Kircheneintritte" auf der Tagesordnung: "Es haben sich mehrere ehemalige Glieder der Kirchengemeinde zum Wiedereintritt an die Bezirkspfarrer gewandt. Es wurde von Pastor Tappenbeck angeregt, daß die Presbyter sie besuchen und (zum Gottesdienst) mitbringen. Presbyter Josting schlägt vor, daß man beobachten solle, ob sich die Betreffenden wieder am Gottesdienst beteiligen. Presbyter Singhof meint, man müsse das Faule ausscheiden, neue Kirchensteuerzahler brauche man nicht. Es wird einstimmig beschlossen, daß den Einzelnen mitgeteilt werden solle, daß das Gesuch angekommen und dem Presbyterium vorgelegt sei. Es wurde aber die Bitte ausgesprochen, daß im nächsten Halbjahr durch Teilnahme am kirchlichen Leben erwiesen werden möge, daß ein rechter Ernst zum Wiedereintritt in die Kirche vorliege. Das Presbyterium wird dann das Weitere veranlassen." Im Protokoll sind dann die Namen der 15 Personen, die in die evangelische Kirchengemeinde aufgenommen werden wollen, aufgelistet, dazu auch die sie betreuenden Presbyter und Pfarrer.

 

Aus den Diskussionsbeiträgen der Gemeindeleitung kann man erkennen, daß das Presbyterium von den Antragstellern auch eine Teilnahme am kirchlichen Leben erwartete. Es wollte bewußt auf solche verzichten, die nur aus Opportunismus und nicht aus ehrlicher Überzeugung wieder in die Gemeinde eintreten wollten. Deshalb bewilligte es nicht sofort die Gesuche, sondern wollte die Kirchlichkeit dieser Leute beobachten. Fast alle nachfolgenden Presbyteriumssitzungen hatten sich speziell mit den Eintrittsgesuchen zu befassen.

In dem Protokoll vom 4.7.1945 heißt es: "Pastor Tappenbeck berichtete über Eingänge aus dem Kreise der Ausgetretenen zum Zweck der Wiederaufnahme. Er möchte Ausspracheabende einrichten und ersucht die Presbyter, dafür einzuladen. Weil die Möglichkeit dafür nicht vorhanden ist, wird ein anderer Weg vorgeschlagen, aber die Bitte bleibt, an den Abenden teilzunehmen."

Aus dem Bericht über die Sitzung vom 14.9.1945 geht hervor, daß wiederum etliche ausgetretene Gemeindeglieder einen Wiederaufnahmeantrag in die Kirche gestellt haben. "Eine größere Zahl von Anmeldungen für den Eintritt in die Kirche liegt vor. Die vorgerückte Zeit erlaubt keine gründliche Besprechung, betont wird die halbjährige Karenz."

 

Allerdings war das Presbyterium auch in Ausnahmefällen bereit, z.B. einen nicht gesunden Bewerber sofort wieder in die Gemeinde aufzunehmen, "da er durch Krankheit sich nicht am kirchlichen Leben beteiligen könne".

Diese Praxis, daß früher ausgetretene Personen nicht sofort wieder in die Gemeinde aufgenommen wurden, bestand auch noch im August 1947: "P. Hülsebus verliest die Namen der noch nicht Aufgenommenen wie derer, die einen Antrag eingereicht haben. Es werden keine Einwendungen erhoben, so daß eine Einladung zur Vorbesprechung stattfinden kann."

Aus dem Protokoll vom 23.1.1948 wird ersichtlich, daß "Pastor Tappenbeck über die Zusammenkunft der Wiederaufzunehmenden in seinem Bezirk" berichtet hatte und die Namen in der nächsten Sitzung bekannt geben wollte.

Die Sitzung vom 30.1.1948 läßt wiederum erkennen, daß die Gemeindeleitung weiterhin die Wiederaufnahme der Ausgetretenen nicht so lax handhaben wollte und großen Wert auf die vorbereitenden Gesprächsabende legte. Die Bewerber, die nicht zur letzten Besprechung erschienen waren, sollten noch einmal persönlich aufgesucht werden.

Auch 1948 waren die Wiedereintritte in die Gemeinde sehr zahlreich, so sind z.B. am 22. Februar 1948 gleich 20 Personen in die Gemeinde wieder aufgenommen worden.

Abschließend muß man konstatieren, daß es der Kirchengemeinde Vohwinkel nicht primär darauf ankam, potentielle Kirchensteuerzahler wieder in ihre Reihen aufzunehmen, sondern daß sie bewußt darauf abzielte, daß solch eine Entscheidung mit großem Ernst betrieben wurde.

Copyright für den Text: Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln 1989.

Diesen Text und viele weitere Informationen finden Sie in:


Holger Ueberholz
Eine Gemeinde im Wiederaufbau
Die Probleme der evangelischen
Kirchengemeinde Vohwinkel nach 1945
Böhlau Verlag, Köln Wien: Böhlau 1989
ISBN 3-412-20788-8



Der Veröffentlichung des Textes auf dieser Webseite
hat freundlicherweise Herr Holger Ueberholz zugestimmt.

 

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